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SMV-Geschichte

Geschichte der Schülermitverantwortung


Entwicklung der Schülermitverantwortung (SMV)
in Baden-Württemberg

Der Wunsch nach Mitgestaltung des Schullebens ist in Schülerköpfen sicher seit Beginn des Schulwesens präsent. Früher wie heute gibt es Gedanken wie: „Da läuft etwas nicht rund.“ – „Das könnte man verbessern.“ – „Das müsste es an unserer Schule geben.“ Aber nicht immer wurde es gern gesehen, wenn Schüler/innen sich engagiert haben. Ordnung, Disziplin und Lernen standen früher als oberstes Gebot. Bestrebungen nach Teilhabe und Mitbestimmung wurden oft unterdrückt. Auch von Eltern, wie ein Fundstück aus dem Jahre 1919 zeigt:

Unsere Zeitskala beginnt deshalb erst 1945 mit den ersten Versuchen, flächendeckend und verbindlich die Grundlagen für das zu schaffen, was zu einer Schülermitverantwortung geführt hat, wie wir sie heute an den Schulen haben dürfen.

1945 Im Rahmen der Re-Education Pläne der Amerikaner wurden an den Schulen erste Schülervertretungen eingeführt, um durch die Schaffung demokratischer Verhaltensweisen und Strukturen den Umbau der Gesellschaft und die Überwindung des Nationalsozialismus voran zu bringen. Die Bildungspolitik galt hier als wichtiger Baustein.

Ein Bericht des American Council of Education, der an Kultusministerien und Lehrkräfte verteilt wurde, forderte Klassenausschüsse, Diskussionsgruppen, Schulbeiräte und Schülervereinigungen. Allerdings konnten damals die Schulleitungen den Schülervertretungen noch das Vertrauen absprechen. Die Aufgaben der Schülermitverwaltung, wie sie damals hieß, beschränkten sich im Wesentlichen auf Ordnungsaufgaben wie z.B. Blumen gießen, Hilfsaufgaben z.B. für jüngere Mitschüler oder Aufgaben im musischen und sportlichen Bereich.

1952 Erste Zusammenkunft von Schülervertretern aller deutschen Bundesländer in Bad Schwalbach.

1953 Zusammenkunft von Schülervertretern in Nürnberg auf Anregung und Kosten der Amerikaner, die entsprechend den Re-Education-Plänen eine Demokratisierung des Schullebens für richtig hielten.

20.01.1953 Erster SMV-Erlass in Baden-Württemberg, betreffend den Landesschulbeirat, Elternbeiräte und Schülervertretungen.

November 1953 Das Fach „Gemeinschaftskunde“ wird in der Landesverfassung für alle Schulen als verbindliches Lehrfach eingeführt.

1955-1960 Phase der Stagnation aufgrund fehlender Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer Interessenvertretung.

1960 In den meisten Bundesländern wird die SMV durch Erlasse und Richtlinien erneut verankert.

1962 Überregionale Institutionen entstehen wie z.B. „Junge Presse“, „Politischer Arbeitskreis Oberschulen“ (PAO) oder „Freundeskreis SMV“. Die Zeitschrift „Wir machen mit“ (erschien erstmals 1953) wird bundesweit bekannt.

1963 Kultusministerkonferenz-Empfehlung zur SMV. Friedrich Oetinger postuliert den Partnerschaftsgedanken in seinem Buch „Partnerschaft - Die Aufgabe der politischen Erziehung“. (Oetinger war das Pseudonym von Theodor Wilhelm (1906-2005)).

1966 APO (Außerparlamentarische Opposition), SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und radikale Schülergruppen beginnen sich zu formieren. Ein gängiger Spruch unter Schülern und Studenten war: „Unter den Talaren der Mief von 1000 Jahren.“

15. Bundestagung für Schülermitverwaltung in Hamburg. Die SMV wird als „demokratisches Feigenblatt“ kritisiert. Einige Schülervertretungen lösen sich auf, um zu zeigen, dass sich dadurch im Schulleben nichts ändere.

Provozierende Thesen zur SMV von Prof. Carl Ludwig Furck (1923-2011), er schrieb u.a. „Das pädagogische Problem der Leistung in der Schule“ (1961) und „Das unzeitgemäße Gymnasium“ (1965).

1967 Aufbau der Schülerorganisationen „AUSS“ (Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler) und „Unabhängige Schülergemeinschaft“.

Im Juni 1967 findet der Frankfurter Kongress des AUSS statt. Hans-Jürgen Haug formuliert in seinem Referat am 18.06.1967 die Frage: „Kann die SMV unsere Interessen vertreten?“.

Forderungen werden laut nach einer Demokratisierung der Schulen und nach einer Umformung der Schülermitverwaltung zu einer Interessensvertretung mit Mitspracherecht.

Die organisierten Verbindungslehrer Nordrhein-Westfalens postulieren das „Konfliktmodell“ auf ihrer Wochenendtagung am 01.11.1967 in Calw: „Konflikt und Konsensus in unserer Demokratie“.

16.02.1968 Tagung von Verbindungslehrern und Schülervertretern aus den in der ersten Tagung nicht berücksichtigten Landesteilen.

10.09.1968 Aufgrund der Ergebnisse und Resolutionen der SMV-Tagungen stellt das Kultusministerium (KM) den ersten Entwurf zu SMV-Richtlinien zur Diskussion, dem im Herbst als Reaktion Schülerstreiks folgten.

08.12.1968 Eine Initiative von Schülervertretern der Gymnasien Südbadens veranstaltet auf dem Herzogenhorn mit „Bürger im Staat“ (Vorgängerorganisation der Landeszentrale für politische Bildung) die Tagung „Autorität in der Schule“.

17.02.1969 Landesseminar des „Bürger im Staat“ in Stuttgart unter dem Motto „Warum protestiert die Jugend?“

10.07.1969 Das KM verfügt die Freistellung eines Gymnasiallehrers zur Feststellung der Vorstellungen über „mehr Demokratie an der Schule“, wie sie sich aus den Eingaben zum ersten Richtlinienentwurf zur SMV ergeben haben.

25.07.1969 Erste Tagung für Verbindungslehrer und Schülervertreter des Beruflichen Schulwesens in Calw.

1970 Im Frühjahr Beginn breiter Protest- und Demonstrationsbewegungen der Schüler im Zusammenhang mit den stärker werdenden Auswirkungen des Numerus Clausus. Es kommt zu Schülerstreiks in ganz Baden-Württemberg.

30.03.1970 Zweiter Entwurf der SMV-Richtlinien des KM fertiggestellt.

Mai / Juni 1970 Das KM informiert in Hearings die gewählten Schülervertreter der Gymnasien über den zweiten SMV-Richtlinien-Entwurf und den Numerus Clausus.

13.06.1970 Wochenendtagung der gewählten Schülersprecher für das Abschlusshearing im KM in Stuttgart.

15.06.1970 Hearing im KM. Ab Juni bis August erfolgen Stellungnahmen der politischen Parteien des Landes zum zweiten Richtlinien-Entwurf des KM, und es werden Novellierungsvorschläge und Initiativgesetzentwürfe zum Schulverwaltungsgesetz eingebracht.

23.07.1970 Das KM verfügt durch Erlass die Einrichtung von Beratungsstellen für die SMV und veranlasst die Ernennung von SMV-Beauftragten an den Oberschulämtern.

25.08.1970 Das KM erlässt die „Vorläufigen Richtlinien zur SMV“ (K.u.U. Sondernummer 4/1970 vom 25.08.1970)

25.05.1973 In einer Erklärung der Kultusministerkonferenz zur Stellung des Schülers in der Schule wird erstmals die Mitbestimmung und Mitwirkung von Schülern in einer Schülervertretung im Schulgesetz aller Bundesländer verankert.

22.10.1973 Das KM veranlasst eine Fragebogenaktion an allen Schulen des Landes, um die Praktikabilität der SMV-Richtlinien und die praktische SMV-Arbeit zu ergründen.

1974 Bildung regionaler SMV-Bezirke und Durchführung regionaler SMV-Tagungen auf Stadt- bzw. Landkreisebene zwecks Verbesserung der SMV-Arbeit und Sicherstellung der Kontinuität. Jährliche Tagungen des Ministeriums für Kultus und Sport mit den SMV-Beauftragten und SMV-Referenten der Oberschulämter mit Jahresberichten und Erfahrungsaustausch.

1976 Verordnung des Kultusministeriums über Einrichtung und Aufgaben der Schülermitverantwortung (SMV-Verordnung) und Verordnung des Kultusministeriums über Schülerzeitschriften.

1980 Jahrestagung der Landeszentrale für politische Bildung (Außenstelle Heidelberg) unter dem Motto „Jugend und Politik“ für Schülersprecher, Schülerzeitungsredakteure und Verbindungslehrer. Änderung der Landesschulbeiratsverordnung und der Berufung von Schülervertretern in den Landesschulbeirat (LSB).

1981 Bundestagung des Deutschen Arbeitskreises für Schülervertretung in der Staatlichen Akademie Calw. Thematik: „Soziales Lernen in der Schule“.

In Calw findet ein Fortbildungslehrgang: „Die Betreuung von Schülerzeitungen“ statt.

1982 Meinungsaustausch der Schülervertreter im LSB mit Kultusminister Mayer-Vorfelder.

Eine eigene Landesschülervertretung wird abgelehnt.

Es gibt eine Anhörung von Schülervertretern Beruflicher Schulen zu Fragen der Korrektur der neugestalteten Oberstufe in der Staatlichen Akademie Calw.

Die Fortbildungsveranstaltungen für Verbindungslehrer an den Staatlichen Akademien werden intensiviert.

Auf der Bundestagung des Deutschen Arbeitskreises für Schülervertretung in Bad Liebenzell wird über BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz) beraten.

1983 Inkrafttreten eines neuen Schulgesetzes mit den Paragraphen zur SMV (§§62-70) sowie zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen (§90).

1984 SMV-Fortbildungsveranstaltungen über „Praktische SMV-Arbeit“ mit Erfahrungsaustausch.

1985 Für die SMV ergeben sich neue Aufgaben im Zusammenhang mit außerunterrichtlichen Veranstaltungen wie z.B. Berlinfahrten, Fahrten an die Zonengrenze (Grenze zur ehemaligen DDR), Betriebsbesichtigungen, Wandertagen etc..

Neue Regelung werden getroffen bezüglich von Aushängen, Infos etc. am „Schwarzen Brett“ der SMV im Zusammenhang mit Werbung in der Schule.

Die Fortbildungsveranstaltungen für Verbindungslehrer getrennt nach Schularten an den Staatlichen Akademien verlaufen sehr erfolgreich, sogar Schulleiter nehmen daran teil.

1986 Seminare für Redakteure und Mitarbeiter von Schülerzeitungen zeigen Erfolge, besonders an Vollzeitschulen. Die Anzahl der eingesandten Schülerzeitschriften für den Wettbewerb des Landes Baden-Württemberg ist gestiegen, die Inhalte sind besser geworden.

Die Herausgabe eines SMV-Handbuchs wird gefordert.

1987 Die Vereine „Deutscher Arbeitskreis für Schülervertretungen e.V.“ und die „Gesellschaft zur Förderung deutscher Schülervertretungen e.V.“ wurden aufgelöst, weil das Ministerium für Bildung und Wissenschaft in Bonn keine Haushaltsmittel mehr zur Verfügung stellte. Das Erscheinen der „SV-Zeitschrift“ wurde eingestellt. (Die erste Ausgabe unter dem Titel „Wir machen mit“ erschien 1953, die Umbenennung in „SV-Zeitschrift“ erfolgte 1970). Es war das einzige Organ, das über die Entwicklung und Arbeit der SMV in den Bundesländern informierte.

1988 Die Arbeit der Schülervertreter im LSB intensiviert sich. Auf Einladung des Arbeitskreises für SMV und Schülerzeitschriften treffen sie sich nun alle 2 Monate an der Staatlichen Akademie Donaueschingen.

1990 Die Zahl der Schülervertreter im LSB wird von 8 auf 16 erhöht. Obwohl eine Landesschülervertretung nach wie vor abgelehnt wird, verstärkt sich doch wenigstens auf diesem Bereich die Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler.

1993 Im 14. Landesschulbeirat wird erstmals ein Schülervertreter zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

1994 In Baden-Württemberg wird eine Landesschülervertretung eingeführt. Am 09.05. treffen sich die 24 Mitglieder des Landesschülerbeirats (LSBR) zur konstituierenden Sitzung im Neuen Schloss in Stuttgart.

1996 Der zweite LSBR beginnt seine Tätigkeit und bereitet die Wahl der Schülervertreter in den LSB vor. Seit diesem Jahr wird ihre Zahl wieder auf 8 reduziert.

1998 Der dritte LSBR wird gewählt.

Ab sofort dürfen auch Nichtmitglieder des Schülerrats zu Schülersprechern gewählt werden.

Auf einer SMV-Arbeitstagung in Bad Boll wird der Schülernachrichtendienst (SND) zunächst als reine Fax-Kette gegründet, um den Informationsfluss zu verbessern. Er arbeitet aber schon bald als gymnasialer Schülerarbeitskreis am Regierungspräsidium Stuttgart.

2000 Schülerdemonstration mit über 1000 Teilnehmern auf dem Stuttgarter Schlossplatz gegen die Reformierung der gymnasialen Oberstufe.

2004 LSBR, SND und SMV-Beauftragte schlagen Möglichkeiten vor, wie SMV-Engagement im Rahmen der Gleichwertigen Feststellung von Schülerleistungen (GFS) eingebracht werden kann.

2005 Im Zuge einer Verwaltungsreform werden die Oberschulämter als Abteilungen (Schule und Bildung) in die Regierungspräsidien eingegliedert.

2007 Der Landesschülerbeirat (LSBR) und der Schülernachrichtendienst (SND) geben das SMV-Handbuch für Baden-Württemberg heraus.

2008 Auch im Regierungsbezirk Tübingen wird ein Schülerarbeitskreis Schülernachrichtendienst gegründet.

2014 Erhöhung der Zahl der Mitglieder im LSBR um 2 Vertreter der Schulen in freier Trägerschaft.

Die grün-rote Koalition führt unterstützt vom LSBR die Drittelparität in der Schulkonferenz ein.

2016 Weitere Erhöhung der Zahl der Mitglieder im LSBR um 4 Vertreter der Gemeinschaftsschulen.

2019 Der Bereich der Schülermitverantwortung SMV geht – wie auch die Demokratiebildung – von den Regierungspräsidien an das neu eingerichtete Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung ZSL über.

In der SMV-Verordnung wird festgelegt, dass das Amt des Schülervertreters sowie die aktive Tätigkeit in der SMV im Zeugnis vermerkt werden. Der Schüler kann hiergegen widersprechen. Dabei werden die Vorschläge des Verbindungslehrers und der Schülervertreter von der Klassenkonferenz berücksichtigt.

Volker Kupka
Überarbeitet und ergänzt von Karl-Ulrich Templ und Thomas Heckmann


SMV-Geschichte als PDF-Dokument

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